Der Weg des Balad Teil 2- Tafsir Suratul Balad (90)
Nachdem wir die Fehlerhafte Reaktion auf das Leid in der Welt zusammengefasst erkannt haben, stellt Gott uns drei Fragen zur Selbstreflektion.
أَلَمْ نَجْعَل لَّهُۥ عَيْنَيْنِ
وَلِسَانًۭا وَشَفَتَيْنِ
وَهَدَيْنَـٰهُ ٱلنَّجْدَيْنِ
„Haben wir den Menschen nicht 2 Augen gegeben
Und eine Zunge und 2 Lippen
Und haben wir ihn nicht die 2 Wege geführt.“
Zunächst weist uns Allah auf die zwei Augen des Menschen hin – ein Aspekt, der viel Raum zur Reflexion bietet. Es handelt sich in nächster Bedeutung um die physischen Augen des Kopfes. Erst durch zwei Augen kann der Mensch die Welt dreidimensional, also mit Tiefenschärfe, wahrnehmen. Also erst durch zwei Augen ist er bereit aus der Ebene in die Höhe schauen zu können, sprich die Ebene der Materie zu verlassen.
Doch die zwei Augen können auch als das äußere und das innere Auge verstanden werden. Denn erst mit dem inneren Auge – also mit der Fähigkeit zur inneren Einsicht – kann man die Problematik des Leids wirklich durchdringen. Das äußere Auge nimmt die Welt in ihrer Erscheinung wahr, während das innere Auge die Gesetzmäßigkeiten der Welt und die tieferen Dimensionen des Seins begreifen kann.
Dann werden die Zunge und die zwei Lippen erwähnt – ein Hinweis auf die Sprache. Sprache ist das zentrale Werkzeug des Denkens, denn sie gibt uns die Struktur und Codierung, um tiefere und längere Gedanken zu formulieren. Interessanterweise formen die Lippen nur zwei Buchstaben des arabischen Alphabets, einer davon ist das „BA“ – der Buchstabe des Wortes Balad, das in dieser Sure zweimal vorkommt – Schafatayn ist passenderweise im Dual formuliert.
Schließlich führt Allah den Menschen auf zwei Wege. Doch warum wird hier das Wort Najd verwendet und nicht Sabil, Tariq oder ein anderes gängiges Wort für „Weg“? Das Wort Najd zeichnet ein ganz bestimmtes Bild: Es beschreibt eine Anhöhe, von der aus sich naturgemäß zwei Wege ergeben – einer führt ins Tal hinab, der andere weiter hinauf auf den Berg.
Intuitiv neigt der Mensch dazu, den leichteren Weg zu wählen – den Abstieg ins Tal. Doch das ist der Weg der fehlerhaften Annahme. An dieser Stelle sein eine passende Referenz zur Bibel erwähnt.
Matthäus 7; 13/14:
Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt; und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden.
فَلَا ٱقْتَحَمَ ٱلْعَقَبَةَ
„Doch sie haben das Hindernis nicht überwunden“
Die meisten Menschen nehmen nicht den Weg auf den Berg hinauf, auch wenn dieser Weg die Lösung des Problems beinhaltet.
وَمَآ أَدْرَىٰكَ مَا ٱلْعَقَبَةُ
„Und was lässt dich wissen, was das Hindernis ist?“
Das Wort Hindernis kommt ebenfalls zweimal vor in Parallelität zum Wort Balad.
فَكُّ رَقَبَةٍ
„Das Lösen des Jochs“
Dieser Vers beschreibt den ersten Teil des Hindernisses: das Lösen des Joches. Im engsten Sinne bedeutet dies die Befreiung eines Sklaven – das genaue Gegenteil davon, seine eigene Macht auszunutzen, indem man Sklaven hält. Stattdessen geht es darum, zugunsten der Leidminderung eines vollkommen ausgelieferten Menschen zu handeln und ihn zu befreien. Eine solche Tat erfordert Überwindung.
Doch das Lösen des Joches kann auch im weiteren Sinne verstanden werden, als eine Form der Selbstbefreiung von einengenden und undurchdachten Einstellungen, die einen oft immer mehr in die Leidproblematik hineinführen anstatt aus dieser heraus.
Zu den schwersten Herausforderungen im Leben eines Menschen zählt die Anerkennung der eigenen fehlerhaften Eigenschaften. Doch dieses innere Joch – dieses höchste Hindernis der kritischen Selbstreflexion – muss überwunden werden, um wirklich voranzukommen. Es ist der Weg mitten hinein ins eigene psychische Leid.
أَوْ إِطْعَـٰمٌۭ فِى يَوْمٍۢ ذِى مَسْغَبَةٍۢ
„Oder die Speisung an einem Tag der Hungersnot“
Auch dieser Vers zeigt uns, dass die Überwindung des Leidens in der vollständigen Hineingabe des eigenen Seins in höchstmögliche Leidsituationen liegt. Eine kontraintuitive Handlung soll die Lösung sein? Warum?
Wie kann man aus dem Problem des Leidens einen Mehrwert generieren, wenn man sich schlimmster Leidsituationen aussetzt?
Die Antwort erfolgt in den nächsten Versen.
يَتِيمًۭا ذَا مَقْرَبَةٍ
أَوْ مِسْكِينًۭا ذَا مَتْرَبَةٍۢ
„Die Speisung eines verwandten vaterlosen Waisenkindes
Oder die Speisung eines Obdachlosen Armen“
Insbesondere gilt die Leidreduktion für die schwächsten der Schwachen, die vaterlosen ungechützen Waisenkinder und die obdachlosen Armen als besonders wertvoll, da sie Hilfe am dringendsten benötigen.
ثُمَّ كَانَ مِنَ ٱلَّذِينَ ءَامَنُوا۟ وَتَوَاصَوْا۟ بِٱلصَّبْرِ وَتَوَاصَوْا۟ بِٱلْمَرْحَمَةِ
„Wer nun also so handelt, wird von denen die glauben und zur Geduld ermahnen und zur Barmherzigkeit ermahnen.“
Hier also liegt die Antwort: Wer sich tief in das Leid begibt und sich seiner Reduktion für andere widmet, entwickelt zwei essenzielle Eigenschaften – Geduld und Barmherzigkeit. Und mit ihnen beginnt das Licht des Glaubens, das aus Erfahrung erwächst, das Herz zu erleuchten. Es ist kein Glaube, der auf Hörensagen basiert, sondern etwas Echtes, das durch das Überwinden des Hindernisses entsteht – durch ein tieferes Erleben der inneren Zusammenhänge - sprich der Schicksalshaften über die Zeit hin sich entwickelnden Zusammenhänge des Lebens.
Barmherzigkeit ist die Antwort auf das Leidproblem. Mitgefühl und gelebte, helfende Barmherzigkeit führen nicht nur dazu, dass man anderen eine Bürde – ein Joch – nimmt, sondern oft auch dazu, dass aus anderen Ebenen einem selbst eine Last abgenommen wird.
So sagte der Prophet:
الرَّاحِمُونَ يَرْحَمُهُمْ الرَّحْمَنُ ارْحَمُوا مَنْ فِي الْأَرْضِ يَرْحَمْكُمْ مَنْ فِي السَّمَاءِ
„Derjenige der Barmherzigkeit zeigt, ihm wird der Allerbarmer Gnade zeigen. Seid denen auf Erden gnädig, so werden die Wesen des Himmels euch Gnade zeigen.“
Wer Barmherzigkeit lebt, wird Barmherzigkeit erfahren – und einen der größten Reichtümer auf Erden erlangen. Kein Gold und kein Besitz können diesen Reichtum aufwiegen.
Es ist der Reichtum der inneren Zufriedenheit. Wohl dem, der diesen Schatz gefunden hat.
Und so überwindet der Mensch das Hindernis und steigt von ihm hinab, löst seinen Rucksack und wird zu einem der hill macht im Balad. Jedoch nicht im Balad der Materie, sondern im Balad des Mutumainnah. In der Stadt des mit den Befehl Gottes zufrieden gewordenen Selbst. Und er tritt ein unter die Diener des Erbarmers - und er wird eintreten in die Gärten der Ewigkeit. Siehe die letzten 4 Verse von Suratul Fajr auf die der erste Vers der Suratul Balad folgt.
أُو۟لَـٰٓئِكَ أَصْحَـٰبُ ٱلْمَيْمَنَةِ
„Dieses sind die Menschen der rechten Seite“
Diese Personen nun haben die rechte Seite des Jenseits erreicht. Ihr Inneres wurde geläutert und ihre Herzen zum Leuchten gebracht.
Doch was ist mit denen der fehlerhaften Ansicht, welche vom hohen Punkt aus den Weg ins Tal nahmen?
وَٱلَّذِينَ كَفَرُوا۟ بِـَٔايَـٰتِنَا هُمْ أَصْحَـٰبُ ٱلْمَشْـَٔمَةِ
عَلَيْهِمْ نَارٌۭ مُّؤْصَدَةٌۢ
„Und diejenigen, welche unsere Zeichen vergraben/bedecken sind von den Menschen der linken Seite.
Über ihnen wird ein Feuer versiegelt.“
Der fehlerhafte Weg führt zu einem tragischen Ende. Das Innere wird verdunkelt, aufgewühlt von Gier, Wut und Gram. So wie derjenige, der die inneren Wirklichkeiten dieser Welt leugnet und sich selbstgerecht auf den Weg ins Tal begibt – begleitet von all seinen ignoranten Handlungen – wird er im Jenseits mit der Manifestation dieser Wirklichkeiten konfrontiert.
Und das wird nichts Schönes sein – so wie er sein Inneres nicht schön gemacht hat im Leben dieser Welt.
Anstatt ḥill zu werden, also einer der Losgelösten, wird er zu einem der Versiegelten, die im Feuer des Jenseits konfrontiert sind mit dem, was sie versuchten zu verdrängen.
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Das Leuchten im Herzen, so wunderbar auf den Punkt gebracht, ist das was am empfindlichsten ist auf dieser Erde.
Dazu einige Gedanken
Die zeit schält sich durch Tag und nacht ab und bringt deine sichtbare BEstimmung Hevor für deine Seele, die im verborgenen die Vase für das Schicksal ist. Nimmt sie diese an, weil sie von Allah kommt, in geduld und gebet, in vorfreude auf sein anblick, auf die Ankunft zurück bei ihm, so hat sich die Zeit durch die Ibada gewandelt in einem Augenblick, dessen gesäte Samen sich in einem Garten wiederfinden. lieblich und zugewandt, jede einzelne Träne, Sorge und Beklemmung, gewandt an den Herrn der Welten, umgewandelt von Lichtwesen in einer Wohnstätte unter seinem Licht. Oh Allah, warum fürchtete ich mich, wenn ich doch weiß du bist da, du bist nah und weiß, zu dir kehren wir zurück. Halte mein Herz bis zum letzten Schlag fest in deiner Rahma, ich halte mich nur an dir fest. Es gibt keine Kraft und keine Macht außer allah.