Die Verschleierung des Schöpfers

Veröffentlicht am 14. Oktober 2024 um 10:33

Die Verschleierung des Schöpfers - Die Nische der Lichter Teil I

Licht und Finsternis sind wichtige Symbole der Mystik. Der auch im Westen hochgeschätzte Gelehrte Imam Ghazali hat in seinem Buch „Die Nische der Lichter“- „Mischkatul Anwar“ diese Symbolik aufgegriffen und führt den Leser tief hinein in die mystischen Realitäten hinter diesen Zeichen.

Einen spannenden Gedankengang den Ghazali dort anführt, möchte ich hier zusammenfassen und diskutieren.

Nachdem der Gelehrte den Lichtvers aus Suratun-Nur ausführlich interpretierte, stellt er einen zugehörigen Hadith des Propheten vor. In einer Überlieferung steht sinngemäß:

„Wahrlich, bei Gott gibt es 70.000 Schleier aus Licht und Dunkelheit. Wenn man sie aufdecken würde, verbrennt die Erhabenheit seiner Wahrheit alles, was sein Blick erfasst.“

Diese Schleier sind Symbole für Formen, Gedanken, Genüsse, Weltanschauungen und Emanationen, welche die Schöpfung und seine Bewohner davor bewahren durch die reinste Wahrheit Gottes zu verschwinden. Manche sind Dunkel und führen von der Wahrheit weg andere sind vermischt und beinhalten Wahrheit und Lüge gleichermaßen doch  schlussendlich kommen die lichtvollen und hellsten Schleier die bereit voller Wahrheit sind aber nicht die Wirklichkeit selbst. Diese Erstaunlichkeit, dass der Offenbare sich durch das verschleiert, was keine wahre Existenz aus sich selbst heraus hat, sondern nur durch ihn erscheint und erschaffen ist, greift auch Imam Ibn Ataillah in seinen Aphorismen auf.

„Das Er sich selbst verschleiert vor dir mit Dingen, die keine echte Substanz neben Ihm haben, ist ein Zeichen seiner Allmacht. Wie kann man denken, dass er verschleiert ist durch Dinge, die Er erst sichtbar gemacht und in die Existenz gebracht hat.“

Es ist eine spannende Sache einmal näher auf dieses mystische Thema einzugehen. Imam Ghazali hat die Angelegenheit netterweise für uns aus der Abstraktion eines Weisheitsspruches heraus geholt und an konkreten Beispielen erklärt.

Die 70.000 ist ein Symbol der großen Zahl und der verschiedensten Möglichkeiten, wie Verschleierung auftritt und durch welche Vielzahl an Schleiern der Mystiker wandern muss, um zu höherer Erkenntnis Gottes zu gelangen.

Die Schleier reiner Finsternis:

Imam Ghazali beginnt mit den Schleiern der reinen Finsternis und erklärt die Abfolge der dunklen Verhüllungen des Menschen.

Der düsterste Schleier ist der des philosophischen Materialismus. Es sind die Menschen, die ihre Erkenntnis nur auf die physikalische Welt richten und diese für alles halten was existiert. Bewusstsein, Geist und Jenseits sind ihnen nur abergläubische Wahnvorstellungen. Alles entspringt der Nacht der Materie und endet auch in ihr.

Diese Gruppe führt das ganze Weltgeschehen nur auf Materie zurück und ist durch diesen Schleier verhüllt. Imam Ghazali sagt dazu: „Materie bzw. Natur ist jedoch nur Ausdruck einer Eigenschaft.“ Und damit hat er recht behalten. Denn die heutige Quantenphysik hat gezeigt, dass die Welt der materiellen Erscheinungen im tiefen Feinwerk der Natur aus gesetzesmäßigen Eigenschaften entspringen. Je tiefer man ins Kleinste geht kann man ihnen immer mehr geistige aber immer weniger dingliche Attribute zuschreiben . Was ist Ladung, Masse oder Gravitation am Ende der Erforschung, als reiner Ausdruck geistiger Gesetze, die in die Erscheinung der sinnlichen Welt emanieren. (Dazu aber in einem anderen Artikel mehr)

Auf Basis des Materialismus als Weltanschauung formen sich laut Ghazali unterschiedlichste Gruppen, die durch reine hedonistische Finsternisse verschleiert sind. Ihnen allen ist gemein, dass sie ihr Selbst und ihre Triebbefriedigung zum einzigen und alleinigen Lebenszweck erklären und danach handeln. Ja sie förmlich anbeten und ihren Trieb zum Abgott machen. Folgende Gruppen beschreibt der Imam kurz:

  1. Genusssklaven: Es ist die Gruppe derer, die nur ihre sexuellen Triebe und Konsumgenüsse sowie die darin liegende Befriedigung zum Lebenszweck nehmen.
  2. Raubtiere: Es ist die Gruppe derer, die in Eroberung und gewaltsamer Besitznahme und der Vermehrung der dadurch erlangten Besitztümer ihren Lebenszweck finden.
  3. Die Geldsklaven: Es ist die Gruppe derer, die in der kapitalistischen Besitz- und Wohlstandsvermehrung ihren alleinigen Lebenszweck suchen.
  4. Aufmerksamkeitssklaven: Es ist die Gruppe derer, die in der Berühmtheit und Bewunderung durch andere ihren Genuss und einzigen Lebenszweck finden. Es sind die Stars und Schauspieler, welche in narzisstischer Erhöhung leben und darin ihre Befriedung suchen.

Das erschreckende an der 900 Jahre alten Aufzählung des Imams ist denke ich offensichtlich.

Er beschreibt perfekt die Mehrheitsgesellschaft der heutigen westlichen, aber auch asiatischen und arabischen Welt. Unsere Gesellschaft ist in der tiefsten Dunkelheit dieser Verschleierungen verhüllt, doch denkt gleichzeitig den Höhepunkt an Zivilisation erreicht zu haben. Welch unglaublicher Trugschluss. Welch kreischende Selbsttäuschung. Und nicht nur das! Jetzt gut aufgepasst Muslime! Ghazali inkludiert in seinem Text auch alle, die mit der Zunge aus unterschiedlichsten Gründen der oben beschriebenen Genusssüchte sagen „Es gibt keinen Gott außer Allah“ aber durch die Wirklichkeit dieses Satzes nicht zu guten Taten geleitet werden. Damit werden sie auch überhaupt nicht durch den ausgesprochenen Glaubenssatz aus diesen vielen tiefen Finsternissen ins Licht geführt werden.

Also was ist dann die Werthaltigkeit dieser eurer Worte… denkt mal darüber nach, bevor ihr mit irgendwem über Paradies und Hölle zu sprechen wagt.

Als Diener der Geldstücke habt ihr eure Heimat verlassen. Als Prädikate für Genusssklaven traut ihr euch herumzugehen und anderen Völkern von höheren Wirklichkeiten zu erzählen. Erkennt ihr nicht, dass eure Zitate der Prophetenworte nichts anderes sind als Selbstverfluchungen. Schweigt! Lasst eure Münder besser geschlossen und beginnt Gutes hervorzubringen. Wir haben genug von euren hohlen Belehrungen gehört.

Der Mystiker muss sein finsteres Selbst und seine von Trieben kontrollierte Seele überschreiten. Und wir sprachen im Artikel "Der Anfang des Weges" bereits darüber, wie wichtig dieser erste Schritt auf dem spirituellen Pfad ist. Denn erst wenn man die Tyrannei der Sinneswelt beginnt zu durchdringen, tritt ein erstes Erfühlen eigener Geistigkeit auf.

Die Schleier aus Finsternissen und Lichtern

Als nächstes beschreibt er die Menschen, welche aus der Finsternis des reinen Materialismus hinaus kommen und eine leichte Ahnung höherer Realitäten erspüren.

Die unterste Stufe der Menschen dieser Ahnung sind die Figurenanbeter. Sie erkennen, dass es etwas Höheres geben muss, aber bleiben von den Sinnen und der Materie so sehr verschleiert, dass sie sich Figuren aus edlen Materialien bauen. In ihnen sehen sie das göttliche und beten sie an, obwohl es nur Materie und Sinnlichkeit ist und sie vor tieferer Wahrheit verhüllt.

Die zweite Stufe bilden die Naturanbeter. Sie sehen in der Schönheit der Natur das göttliche und beten prächtige Bäume, Berge und dergleichen an. Auch sie sind von der Sinneswelt getäuscht und sehen Materie. Aber sie gelangen von den selbstgebauten Figuren zur Erkenntnis universeller Schönheit in der Natur und sind damit durch einen Schleier der Finsternis gelangt, aber trotzdem von vielen weiteren immer noch verhüllt.

Die dritte Gruppe sieht die Göttlichkeit in der Kraft des  Feuers.

Die vierte Gruppe in den Planeten und ihren Kräften.

Die fünfte Gruppe sieht in der Sonne als größtes Gestirn den Ausdruck dieser Göttlichkeit.

Die sechste Gruppe sieht das universelle Licht, das in allen Sternen leuchtete als Ausdruck der Göttlichkeit und gelangen schließlich zum Dualismus von Licht und Finsternis. Einige Nennen das Licht Jazdan und die Finsternis Ahriman. Andere nennen das Licht Jesus und die Finsternis Satan.

Ich denke die fortschreitende Ausdifferenzierung dieser Philosophie zeigt ein stetiges Annähern an die Erkenntnis des Schöpfers. Schritt um Schritt werden Schleier gelüftet, wenn andere auch noch bestehen bleiben. 

In modernen Worten kann man die Abfolge der ausdifferenzierenden Erkenntnisse bzw. das Durchwandern der unteren Dunkel-Licht-Schleier wie folgt bezeichnen:

  • Stumpfer Materialismus und Hedonismus
  • Figurenkulte und Fetischisierung innerer Zustände zu Götterfiguren
  • Naturanimismus und Naturtheismus
  • Feuerkulte
  • Planetenreligion und sogenannte himmlische Machtgötter
  • Sonnenkulte
  • Lichtkulte und Dualismus

Das Interessante, was den geneigten Leser auffallen wird, ist dass man an dieser Erklärung auch sehr gut erkennen kann, wie antike Licht und Sonnenkulte mit frühen christlichen Bewegungen verschmolzen sind und im katholischen Kult zu einer dualistischen Weltanschauung ausgestaltet wurden. Auf der einen lichtvollen Seite wurden die Engel, Jesus und Gott als anthropomorpher (dem Menschen gleichender) Himmelsmachtgott platziert und auf der dunklen Seite Satan als Gegenspieler und seine Legionen an Dämonen. Der Mensch steht in dieser Anschauung zwischen dem dualen Kräftespiel und ist aufgefordert sich zu orientieren und einzupassen. Er ist ihnen quasi ausgeliefert.

Der Mystiker muss weitergehen und erkennen, dass dieses nur Verschleierungen der Wirklichkeit sind und der Schöpfer nicht in diese Kategorien passt, ja diese Einteilungen nichts als Verdeckungen wahrer Erkenntnisse darstellen müssen. Er muss fortschreiten, seiner Intuition und mentalen Durchdringung folgen und diese Schleier durchtrennen. Damit wird er auch immer sich selbst von den einschränkenden Anschauungen befreien und sich ihrer Macht entreißen.

Weiter in Teil II

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Kommentare

Seinab
Vor 10 Monate

Kannst du dazu bitte mehr schreiben ?
. Was ist Ladung, Masse oder Gravitation am Ende der Erforschung, als reiner Ausdruck geistiger Gesetze, die in die Erscheinung der sinnlichen Welt emanieren…. Was ist das kleinste und ist es Licht? Das Licht der Engel, die
In jedem Moment Allahs Befehle ausfuhren? Werden sie am Ende beleuchtet satt kleiner Neutronen und Elektronen?