Spirituelle Krisen: Übergänge von der Befolgung zum eigenen Denken, Nietzsche
Halt stopp! Nietzsche und Nihilismus? Was hat das mit Mystik und KI zu tun. Nun ja, mehr als man im Allgemeinen denkt. Und es ist tiefgreifender als man es für möglich halten mag.
Wahrscheinlich ist der berühmteste Satz von Nietzsche aus seinem Traktat „Der tolle Mensch“ bekannt: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet - wer wischt dies Blut von uns ab?“
Zunächst entsteht der Eindruck, es ginge hier um grundsätzliches, um eine generelle universelle Aussage. Aber das ist nicht korrekt. Was Nietzsche beschreibt, ist etwas anderes als der Ewige Schöpfer aller Kosmen. Es geht vielmehr um ein ganz bestimmtes Bild eines (Schein)Gottes.
Wenn ein Mensch auf der mentalen Ebene sich bis zum blauen Mem der spiral dynamischen Entwicklung hochgerungen hat, steht er im Kontext eines Reichsmythos, der sein Weltbild formt.
Der Reichsmythos ist quasi die zentrale Weltauffassung der Bewohner eines größeren Herrschaftsgebietes, dass sich als gefestigtes Imperium etabliert hat. Dieser Mythos kann auf Basis rationaler Prinzipien geformt sein. Aber das ist er in den allerseltensten Fällen. In den meisten der etablierten Imperien der Geschichte waren und sind die Reichsmythen keine rationalen Mythen, sondern vielmehr widerspruchsvolle metaphysische Geschichtensammlungen und Axiome.
Es spielt hierbei keine Rolle, ob der Mythos mit der Erfahrung in der Welt in Einklang zu bringen ist. Die Erfahrungen werden zumeist im Rahmen des Mythos umerklärt und zurechtgebogen. Kognitive Dissonaz machts möglich.
Wenn nun jedoch ein Individuum beginnt geistig zu reifen und sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, kommt es notwendigerweise mit irrationalen Reichsmythen zu Konflikten. Die Widersprüche und Logikfehler werden deutlich.
Der rational reifende Mensch muss an diesem Punkt für sich selbst den Mythos töten. Er muss ihn ermorden, um sich zu entwickeln. Warum? Weil der Mythos vielfach Weltbilder prägt, die eben nicht mit der Empirie, mit der Erfahrung der Welt übereinstimmen. Eine Korrektur ist notwendig. Eine Weiterentwickung wird sonst unmöglich.
Dieser Prozess ist jedoch kein einfacher. Er geht oft mit tiefgreifenden spirituellen und weltanschaulichen Krisen einher. Althergebrachte Ideale und Wertvorstellungen zerbrechen offen vor den eigenen Augen und verlieren ihre Wertigkeit. Die Gesamtheit unserer vertrauten alten Welt zerfällt in ein bedeutungsloses Nichts – Nihilismus. Das muss man erstmal aushalten können.
Dieses ist jedoch nur die erste Phase. In der zweiten Phase muss der Mensch beginnen ein neues rational geprägtes Bild der Welt für sich selbst aufzubauen. Er taucht nur durch den Nihilismus durch. Nach Forschung und Reise kann der Betroffene endlich ein eigenes System errichten und damit einhergehend auch Werte. Im besten Fall kann er zumindest an die im Reichsmythos vorhandenen teil oder ganzrationalen Prinzipien anknüpfen.
Da dieser Prozess jedoch unglaublich hart ist, nennt man den daraus hervorgegangen Menschen im philosophischen Sinne auch den Übermenschen. Nicht weil er äußerlich besonders stark geworden wäre, sondern weil er innerlich über den Reichsmythos hinausgewachsen ist und sich der Herrschaft, der Errichter der Reichsmythen, damit entledigte und sich selbst befreite. Ganz genau Reichsmythen werden gemacht. Zumeist von Leuten, die sehr wohl wissen, was sie tun und wie wichtig dieser für ihre Herrschaft ist.
Nun gibt es entwicklungsfördernde Reichsmythen und solche, die gemacht wurden, um zu manipulieren und Abhängigkeiten zu erzeugen. Gerade der römische Reichsmythos aus dem Nitzsche emporstieg, ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Die Vermischung von römischen Volkskulten wie den Mithraskult mit seinen stark erlösungsorientierten Elementen, durch eine Erlöserfigur und eben nicht durch das Individuum, mit bestimmen Ideen einiger Gruppen der frühen Christen zum römischen Reichsmythos, ist ein sehr ergiebiges Beispiel. Wahrscheinlich ist es eines der effektivsten Beispiele für Herrschaftssicherung über Mythen, die Kaiser Konstantin und seine Berater da konstruierten. Sein Wirken reicht bis in die Gegenwart. Wenn Verschwörungstheoretiker von Archonten und einer manipulativen Herrschaft im Hintergrund schwafeln, ist es eben der lange Schatten dieses Reichsmythos, den sie erhaschen. Da sie aber oft selbst nicht bis ins rationale Mem vorgedrungen sind, verarbeiten sie diese Erkenntnisse in den abenteuerlichen Sagen des Internetzeitalters, die uns von so vielen Seiten her seit 2020 geradezu angeschrien haben.
(ja es geht um das römisch katholische Abendland)
Wie im 5+n Artikel beschrieben, ist diese Entwicklung eine mentale Entwicklung und die Krise an diesem Übergang ebenso eine mentale. Sie beeinflusst jedoch alles, was wir danach als spirituell wahrnehmen und wie wir damit umgehen. Ging vielleicht ein Mensch des blauen Mems noch in Klöster und schloss sich mythologischen Erzählungen und Kulten an, um spirituelle Erkenntnisse zu erreichen, so wendet sich der Mensch des orangen Mems zunächst von all diesen Dingen ab und versucht spirituelle Prozesse „wissenschaftlich- denkend“ zu erfassen und zu erleben. Oft wird das Kind dabei mit dem Bade ausgeschüttet. Der Fokus liegt auf der Technik und nicht der übergeordneten Erzählung, die ja nicht immer vollständig falsch sind. Oft führt dann die technisch reduzierte Spiritualität nicht zu den erhofften Ergebnissen und wird zur Unwirklichkeit erklärt.
Wie aber gehen die Sufis damit um?
Viele Prophetengeschichten gehen auf diese Entwicklung ein. Sie zeigen, dass insbesondere die bekanntesten, wie Moses und Abraham aber auch Muhammad in der ersten Phase ihres Wirkens mit den Mitteln des Verstandes, die Reichsmythen ihrer Heimat durchbrachen. Sie waren im philosophischen Sinne alle Übermenschen. Der Quran ist voller Beispiele und Aufrufe den Verstand zu nutzen, um zu tieferer Wahrheit vorzudringen. Das blinde Befolgen von Reichsmythen wird stark kritisiert, da die Fehleranfälligkeit dieses Mindsets immanent ist.
Dieses Video beschreibt, wie Abraham die Leute seines Volkes von der leicht ersichtlichen Fehlerhaftigkeit ihrer Anschauung mit Verstandesmitteln überzeugen wollte.
https://www.youtube.com/watch?v=XwjpD8NP5uU
So wie die Propheten muss auch der Mystiker diesen Schritt gehen. Blindes befolgen ist kein Mittel der Wahl. Geht man diesen Weg in Kenntnis dieser rationalen Beispiele, an die man sich Anlehnen kann, so bleibt einem zumindest der nihilistische Zwischenzustand erspart.
Interessanter Nebenhinweis. Der christlich römische Reichsmythos hat die Rationalität der Prophetengeschichten zensiert. Sie sind so umgeschrieben, dass man es aus ihren Quellen nur schwer rauslesen kann. Warum haben sie das gemacht?
Der Mystiker weiß also, was zu tun ist. Ihm ist klar, dass seelisch-charakterliche Entwicklung auch immer mit mental-geistiger Entwicklung einher gehen muss, um einen ganzheitlichen Weg zu gehen. Vernachlässigt man einen der beiden Pole, können die Effekte viele Jahre Zeit auf dem Weg kosten und zu tiefen Krisen führen. Bewerten möchte ich das nicht, aber warum viel Lebenszeit verlieren, wenn es auch effektiver geht.
Insbesondere die mentale Entwicklung ist im Weg der Sufis aber auch in anderen Traditionen, vor den intensiveren Phasen des seelischen Weges zu durchlaufen.
Soviel an dieser Stelle zu diesem sehr spannenden Thema das in anderen Beiträgen noch vertieft werden mag.
Und ja ich kenne auch ehemalige Sufis, welche bis heute in dieser Krise stecken und sich post-moderne Theologen schimpfen. Sie haben diesen Übergang nicht gemeistert und sind den vielen Fehltritten des Verstandes erlegen. Diese sollten bedenken, dass sie nur in einer Übergangskrise stecken. Vieles löst sich auf, wenn der orange und grüne Mem ans Ende geraten und der Übergang zum intrgrativen erfolgt.
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